SWS Studie

Einleitung

Die zentralen Herausforderungen unserer Zeit sind eng miteinander verknüpft und können nur gemeinsam gelöst werden. Dies hat Papst Franziskus in seiner im Mai 2015 veröffentlichten Enzyklika Laudato si’ (LS) verdeutlicht. Er drängt auf eine umfassende Problemanalyse und fordert eine neue, integrale Idee von Fortschritt, damit „unser gemeinsames Haus“ eine Zukunft hat. So unterschiedlich die Ursachen von weltweiter Armut und sozialen Ungleichheiten auf der einen, die fortschreitende Zerstörung unserer Lebensgrundlagen durch Klimawandel und andere Umweltprobleme auf der anderen Seite auch sein mögen, so offenkundig sind inzwischen die vielfältigen Verknüpfungen. So sind die armen Menschen, Regionen und Länder, die am wenigsten Ressourcen verbrauchen und zum Klimawandel beigetragen haben, schon jetzt und vor allem zukünftig überproportional von den negativen Folgen betroffen und haben deutlich weniger Möglichkeiten, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen.


Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihren 17 Globalen Nachhaltigkeitszielen (SDG: Sustainable Development Goals) hat die Staatengemeinschaft diesen Impuls aufgegriffen und sich im September 2015 dazu verpflichtet, gemeinsam die Grundlagen für eine nachhaltige Entwicklung weltweit zu schaffen. Die Staaten räumen ein, dass es nicht nur verbreitete Formen der Unter-, sondern auch der Fehlentwicklung gibt, die durch geeignete Reformen zu korrigieren sind. Gleichzeitig haben sie vereinbart, die einzelnen Ziele (vgl. Abb. 1) jeweils zu konkretisieren und dafür geeignete politische Reformen auf den Weg zu bringen.


Leider finden die Zielkonflikte zwischen den einzelnen SDGs, vor allem im Hinblick auf die Rolle von Wirtschaftswachstum, meist keine ausreichende Beachtung. Mit der Studie Raus aus der Wachstumsgesellschaft? Eine sozialethische Analyse und Bewertung von Postwachstumsstrategien hat die Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ (SWS)1 im Jahr 2018 dafür eine Orientierung vorgelegt mit dem Ergebnis, dass es weder gerechtfertigt ist, Wachstum als vorrangige wirtschaftspolitische Strategie zu verfolgen, noch es generell abzulehnen. Notwendig ist vielmehr eine sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. 

Abbildung 1: Die Globalen Nachhaltigkeitsziele (SDG: Sustainable Development Goals)

In diesem Zusammenhang spricht der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) von einer notwendigen großen Transformation, einem „fundamentalen Wandel, der einen Umbau der nationalen Ökonomien und der Weltwirtschaft innerhalb dieser [planetaren] Grenzen vorsieht, um irreversible Schädigungen des Erdsystems sowie von Ökosystemen und deren Auswirkungen auf die Menschheit zu vermeiden.“2 Zentrale Zielperspektive ist dabei, bis Mitte dieses Jahrhunderts weltweit in einer Nettobetrachtung keine Treibhausgase mehr zu emittieren. Je nachdem wie ehrgeizig die derzeitigen Emissionen reduziert werden und wie schnell dieser Zeitpunkt globaler Klimaneutralität erreicht ist, kann es gelingen, die voranschreitende Erwärmung des Planeten auf 2 Grad, besser noch 1,5 Grad bis zum Jahr 2100 zu begrenzen. Um diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu bewältigen, formuliert die SWS-Studie folgende Leitplanken (vgl. Abb. 2): 
1. Zügige Einleitung umfassender Strukturreformen zur Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch. Zentral ist hierfür eine verursachergerechte Bepreisung von Umweltgebrauch, damit die sozialen und ökologischen Kosten, welche Produktion und Konsum verursachen, nicht weiter auf Dritte, besonders sozial Schwächere und nachfolgende Generationen, abgewälzt werden („Externalisierung von Kosten“). Dies schafft auch wirksame Anreize für technische Innovationen, stärkt den Wettbewerb auf der Angebotsseite ebenso wie die Transparenz und Wahlfreiheit für Konsumenten und Konsumentinnen.

Abbildung 2: Leitplanken einer sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft

2. Diese Strukturreformen sind mit beachtlichen Verteilungseffekten und entsprechenden Interessenskonflikten verbunden. Sie benötigen daher als tragende Pfeiler einen angemessenen sozialen Ausgleich und eine wirksame internationale Abstimmung. Nur so ist es möglich, den notwendigen breiten Konsens in der Bevölkerung zu erzielen und sich erfolgreich gegen „Trittbrettfahrer“ zu schützen, die sich mit geringeren Umwelt- und Sozialstandards Vorteile im Wettbewerb verschaffen wollen.
3. Eine Politik der sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ist zudem durch einen tiefergreifenden Kultur-, Bewusstseins- und Wertewandel vorzubereiten, zu ergänzen und zu begleiten.

Aufgrund der wachsenden sozialen Ungleichgewichte und der fortschreitenden Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ist das Zeitfenster für die erforderliche sozial-ökologische Transformation äußerst begrenzt. Umso wichtiger ist es, die notwendigen Veränderungen unverzüglich und mit großem Nachdruck einzuleiten, partizipativ zu gestalten und dabei für eine gerechte Verteilung von Vorteilen und Lasten (von Veränderungen wie von Nichthandeln) zu sorgen.


Die COVID-19 Pandemie hat, wie Papst Franziskus in seiner jüngsten Enzyklika Fratelli tutti formuliert, „unsere falschen Sicherheiten offen[ge]legt“ (FT 7). Es ist zu befürchten, dass die sozialen Ungleichheiten durch die Pandemie global und innerhalb vieler Länder noch weiter vertieft und verfestigt werden. Zudem besteht die Gefahr, dass die krisenbedingte Verunsicherung die Akzeptanz von ökologischen und sozialen Reformen reduziert oder politische Maßnahmen sich auf kurzfristige Krisenintervention beschränken. Politische Eingriffe und Konjunkturprogramme müssen aber konsequent dafür genutzt werden, den notwendigen Strukturwandel für eine sozial-ökologische Transformation zu befördern, auch um zukünftigen Krisen vorzubeugen.


Vor diesem Hintergrund möchte die Sachverständigengruppe mit der vorliegenden Studie darlegen, welche Parameter und Stellschrauben den erforderlichen Wandel befördern und dabei auch den spezifischen Beitrag der katholischen Kirche als Weltkirche beleuchten. Zu Beginn (Kap. 1) werden drei Beispiele aus zentralen Handlungsfeldern der sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft (Energie, Mobilität, Landwirtschaft) kurz veranschaulichen, wie dringlich rasche Veränderungen sind und wie eng dabei wesentliche Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) miteinander verzahnt sind. Die ausgewählten Beispiele verdeutlichen, dass die sozial-ökologische Transformation große Chancen bereithält, aber auch gesellschaftliche Anstrengungen verlangt.


Um Menschen und Gesellschaften zu den erforderlichen Veränderungen zu bewegen, ist neben der Einsicht in die Notwendigkeit des Wandels auch eine positive Zielperspektive nötig, die motivierende und orientierende Kraft entfalten kann (Kap. 2). Dann werden zunächst die Faktoren eingehender analysiert, welche die notwendigen Transformationsprozesse behindern (Kap. 3), um ausgehend davon Parameter und Pfade zu benennen, welche Innovationen zügig einleiten und wirksam voranbringen können (Kap.4). Abschließend wird die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für den Wandel untersucht (Kap. 5). Die Kirche hat als weltweite Lerngemeinschaft besonderes Potenzial, um einen spezifischen Beitrag für die Transformation leisten zu können. Dafür ist aber auch zu analysieren, wo, unter welchen Umständen und wodurch die Kirchen Transformationsschritte behindern und wie man diese Barrieren überwinden kann.

Kommentare (3)

15.10.2021 / 11:44 Uhr

hinterstoiser-f@web.de

Rolle der Demokratie und Zivilgesellschaft

Bei näherer Betrachtung der Global Development Goals fällt auf, dass ein Bekenntnis zur Demokratie fehlt, auch wenn sie (vermutlich) Grundlage und Ermöglicher vieler Einzelziele ist. Die Studie spricht im Folgenden viel von Transparenz und bürgerlicher Beteiligung, aber ein wirklich starkes Statement zu mehr Demokratie und Verantwortung der Regierenden gegenüber den Regierten fehlt mir. Schade, denn die Weltkirche hätte hier viel zu sagen (und intern noch viel nachzuholen)! Aber insgesamt danke für die interessanten Anregungen in diesem Text!

08.11.2021 / 13:18 Uhr (> Antwort auf hinterstoiser-f@web.de)

Schulte-Maier@freenet.de

Vereinte Nationen sind kein demokratisches Gremium

Lieber Herr Hinterstoiser, Sie haben Recht mit Ihrer Kritik - unter den Vereinten Nationen sind aber doch "lupenreine Demokratien" (wie es unser Altkanzler Schröder so untreffend formulierte) in der Minderheit; die Mehrzahl sind doch eher Plutokratien oder Oligarchien mit gewissen demokratischen Beteiligungsmäntelchen. Es ist schwer genug, dass die sich auf Nachhaltigkeitsziele einigen, da braucht man auf ein Bekenntnis zu demokratischen Beteiligungsstrukturen nicht auch noch zu hoffen. ABER: davon sollten wir demokratisch-bürgerliche Minderheit nicht abschrecken lassen und weiterhin mehr Mitbestimmung fordern und bieten!

18.11.2021 / 14:40 Uhr

Anonym

Mir gefällt die Darstellung der verschiedenen Sphären der sozial-ökologischen Transformation. Dabei frage ich mich immer wieder, ob alle diese Bausteine "gleich groß" sind, aber das ist vermutlich schwer abzuschätzen... Falls es dazu genauere Zahlen oder eine Prioritätenliste gibt, dann bitte informieren Sie uns darüber!