SWS Studie

Zusammenfassung

Wer nachhaltige Entwicklung und die Globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs: Sustainable Development Goals) erreichen will, kommt an einer sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nicht vorbei. Trotz aller damit verbundenen Herausforderungen ist der erforderliche Wandel aber keine unerreichbare Utopie, sondern eine realistische Zukunftsoption. Anhand zentraler Handlungsfelder identifiziert die Studie Hindernisse, welche die notwendigen Veränderungen erschweren. Davon ausgehend werden Stellschrauben benannt, die aktiv angepasst werden müssen, damit die dringend notwendige sozial-ökologischen Transformation gelingen kann.

Hindernisse und Konflikte am Beispiel von Energie-, Konsum- und Mobilitäts- sowie Agrarwende

Mit einer Energiewende, bei der alle Staaten aus der Kohleverbrennung aussteigen würden, käme die Welt dem Emissionsziel, die globale Erderwärmung unter 2 °C zu halten, deutlich näher. Förderung und Verbrennung von Kohle belasten zudem oft nicht nur die heimische Natur- und Kulturlandschaft, sondern vielerorts auch die öffentliche Gesundheit. Kohle ist tatsächlich nur solange eine vermeintlich kostengünstige Energiequelle, wie die ökologischen und sozialen Folgekosten auf andere abgewälzt werden. Deutlich wird am Beispiel der Kohlenutzung auch die Gefahr langfristiger Pfadabhängigkeiten. Länder wie China, die in ihrer Energieversorgung besonders auf Kohle setzen, haben im Zuge der Pandemie ihre Investitionen in diese besonders klimaschädigende Energieerzeu-gung noch weiter ausgebaut. Für ärmere Länder hemmen hohe Finanzierungskosten den Ausbau erneuerbarer Energien gerade dort, wo sie besonders notwendig und effektiv wären. Dies erschwert technologische Innovationen und den Aufbau einer dezentralen, nachhaltigen Energieversorgung.


Auch am Beispiel der Konsum- und Mobilitätswende zeigt sich, wie bestehende Strukturen die Verschwendung knapper Ressourcen, umweltschädigende Produktionsweisen sowie unfaire Arbeits- und Handelsbedingungen fördern. Solange Menschen sich primär über den Konsum definieren und nach stetigem Wohlstands- und Statuszuwachs streben, greifen technologische Veränderungen allein zu kurz: Gerade der motorisierte Individualverkehr zeigt, dass eine echte Mobilitätswende deutlich über alternative Antriebstechnologien hinausgehen muss und nur gelingen kann, wenn sie auch mit einer Konsumwende einhergeht und kulturelle Faktoren nicht vernachlässigt. So ist zu fragen, ob Wohnen, Arbeit, Urlaub oder Freizeit wirklich mit stetig wachsenden Mobilitätsanforderungen verbunden sein müssen. Wie können effizientere Technologien mit einer Kultur des rechten Maßes (Suffizienz) verbunden werden, um wirksame Anreize für mehr Mobilitätsdienstleistungen, längere Produktlebenszeiten und eine umfassende Wiederverwertung der eingesetzten Ressourcen zu geben.

Eine Agrarwende, die Landwirtschaft, Nahrungsmittelproduktion und Ernährungsweisen umfasst, wird nicht nur durch problematische Anreizstrukturen (z.B. hinsichtlich Agrarförderpolitik), sondern auch durch nicht nachhaltige Verhaltensroutinen und Ernährungsgewohnheiten erschwert. Viel zu häufig wird hier der Wettbewerb zu Lasten der Schwächsten, besonders der Natur, des Tierwohls, der menschlichen Gesundheit oder von prekär Beschäftigten ausgetragen. Die vorherrschenden Strukturen und Routinen sind nicht leicht zu verändern – gerade dann, wenn sie durch sozio-kulturelle Normen und mangelnde nationale wie internationale Kooperation und Solidarität gestützt werden. 

Eine positive Zielperspektive für die Transformation

Eine positive Zielperspektive für nachhaltige Entwicklung kann motivierende und orientierende Kraft entfalten, um Menschen und Gesellschaften zu tiefgreifenden Veränderungen zu bewegen. Deswegen zielt die sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft darauf, dass alle Menschen jetzt und auch zukünftig unter Wahrung der planetaren Grenzen gut leben können: Dazu müssen sie ihre Grundbedürfnisse angemessen befriedigen können, sie brauchen faire Handlungsspielräume und Beteiligungschancen sowie Entscheidungsprozesse, die gerecht und inklusiv sind. Studien belegen, dass dies bei geeigneten und zügigen Strukturreformen ohne große Einschränkungen der Lebensqualität und Wohlfahrtseinbußen möglich ist. 

Stellschrauben gelingender Transformation

Vor dem Hintergrund der genannten Hindernisse werden zentrale Stellschrauben definiert. Diese können den erforderlichen sozial-ökologischen Wandel wesentlich befördern, wenn sie in ihren wechselseitigen Bezügen gemeinsam berücksichtigt und adressiert werden. Da nicht alle Konsequenzen vorhersehbar sind, sind die Reformen als kontinuierlicher Lernprozess zu gestalten. Unverzügliche Anpassungen sind dringend erforderlich.


1. Ordnungsrahmen schaffen, der Innovationen und das Gemeinwohl befördert


Grundlage für die sozial-ökologische Transformation ist ein Ordnungsrahmen, der Anreize für gemeinwohlförderliche soziale und technologische Innovationen schafft. Eingefahrene Handlungsroutinen müssen angepasst werden. Politische wie wirtschaftliche „Trittbrettfahrer“, die sich auf Kosten sozial Schwächerer, künftiger Generationen oder der Umwelt kurzfristige Vorteile verschaffen, sind durch veränderte Rahmenbedingungen in die Schranken zu weisen. Nur dann wird eine verursachergerechte Bepreisung von Umwelt- und Ressourcenverbrauch, sozialer Ausgleich und bürgerliche Teilhabe zu gewährleisten sein.


Um das Gemeinwohl zu fördern und soziale und technologische Innovationen voranzubringen, sind nicht nur mutige Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, sondern auch innovative Politikinstrumente, angemessene Kontroll- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft sowie mehr internationale Kooperation und Solidarität notwendig. Zukunftsfähige Technologien und Anreizstrukturen zu etablieren, bedarf meist längerer Anlaufzeit und guter Koordination, bis sie auf nationaler sowie internationaler Ebene effektiv zusammenwirken.


Dies wird am Beispiel der Bepreisung von klimaschädlichen Emissionen deutlich: Nach der Einführung des EU-Emissionszertifikationshandels ist es für die Weiterentwicklung nun wichtig, Mengen und wo möglich auch Preise zügig anhand wissenschaftlicher Daten und unabhängig vom politi-schen Tagesgeschäft festzusetzen und bisher nicht erfasste Emissionen (Verkehr, Gebäude) ebenfalls der CO2-Bepreisung zu unterziehen. Bezüglich der weltweiten Bepreisung sind multilaterale Vereinbarungen über CO2-Mindestpreise, ergänzt durch Transfers für Investitionen in erneuerbare Energien zu empfehlen. Insbesondere ärmere Länder, in denen der größte Investitionsbedarf und das kostengünstigste Anwendungspotenzial für regenerative Energien bestehen, müssen durch partnerschaftliche Zusammenarbeit befähigt werden, diese Technologien flächendeckend anzuwenden und selbst (weiter-)zu entwickeln. Im Sinne einer gerechten Lastenverteilung sollten die Regierungen, Unternehmen und Finanzinstitutionen wohlhabender Länder durch Technologie- und Finanzierungshilfen einen weit größeren Beitrag zum Kampf gegen Armut und Klimawandel leisten. 

2. Zumutungen und neue Handlungschancen fair verteilen


Nachhaltige Entwicklung ist eine Frage der Gerechtigkeit. Angesichts der in der Studie beschriebenen Verteilungskonflikte ist ehrliche Transformationspolitik immer auch eine Politik der fairen Verteilung von Zumutungen, die allen Beteiligten auch neue Handlungschancen eröffnen. Dazu ist es erforderlich, die Betroffenen der verschiedenen Verteilungskonflikte in Gestaltungsprozesse einzubinden und in die Verantwortung zu nehmen. Eine zunehmend wichtige Rolle spielen dabei die so genannten „stranded assets“. Wer beispielsweise seinen Wohlstand dem Besitz fossiler Ressourcen oder der Nutzung nicht mehr zeitgemäßer Technologien verdankt, kann Einschränkungen in seinem bisherigen Geschäftsmodell nicht einfach als „kalte Enteignung“ ablehnen, sondern steht in besonderer Verantwortung, sich konstruktiv an gemeinwohlförderlichen Innovationen und Reformen zu beteiligen.


Wer die Transformation gestalten will, muss auch die damit verbundenen Machtfragen benennen, um Barrieren und Gegenkräfte erfolgreich identifizieren und überwinden zu können. Um dabei von den unvermeidlichen Verteilungskonflikten nicht gelähmt zu werden, ist es hilfreich, den betroffenen Interessensgruppen frühzeitig zu vermitteln, dass die Einschränkungen unter den richtigen Voraussetzungen und einem angemessenen sozialen Ausgleich nicht nur verkraftbar sind, sondern neue, fair zu verteilende Perspektiven eröffnen. 

3. Gesellschaftliche Unterstützung durch Transparenz und Teilhabe fördern


Mangelnde politische Gestaltung und Kommunikation im Umgang mit den genannten Verteilungskonflikten tragen dazu bei, dass Vertrauen in Transparenz und Teilhabe (zwei Grundversprechen des demokratischen Staates) verloren gehen. Der politische Populismus profitiert von materiellen und ideellen Verlustängsten. Er verstärkt sie deshalb gezielt, indem er die Verantwortung für komplexe Probleme und damit auch die Eigenverantwortung des Einzelnen an globale Feindbilder abschiebt. Damit bietet der politische Populismus verlockend einfache, gern nationalistisch geprägte Antworten an.


Die Antwort auf diesen Vertrauensverlust sieht die Studie in drei Schritten: erstens, diese Erschütterung anzuerkennen, zweitens Informations-, Mitsprache- und Teilhabemöglichkeiten zu verbessern sowie drittens populistische Instrumentalisierungen, die diesen Vertrauensverlust zum eigenen Vorteil verstärken und kein Interesse an konstruktiven Lösungen haben, zu entlarven. Deshalb müssen die widersprüchlichen Haltungen des Rechtspopulismus in Bezug auf den Klimawandel offengelegt und konkrete Transformationsvorhaben möglichst partizipativ gestaltet werden. „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, die Lust auf Veränderung weckt und Erfolgserlebnisse vermittelt, ist nicht nur ein probates Mittel gegen Populismus, sondern stärkt auch die Fähigkeit und Bereitschaft künftiger Generationen von Politiker/innen, multilateral, regel-basiert und im engen partnerschaftlichen Austausch mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten.

4. Transformation als kulturelle Aufgabe ernstnehmen


Die kulturelle Dimension des Wandels wird bei den einzelnen Reformvorschlägen häufig vernachlässigt und daher leicht von populistischen Bewegungen vereinnahmt. Populisten erwecken zwar gerne den Eindruck, religiöse oder kulturelle Traditionen zu bewahren, faktisch verraten sie aber häufig die Werte, die diesen Traditionen zugrunde liegen. Wer die sozial-ökologische Transformation voranbringen will, muss das „kulturelle Bedeutungsgewebe“ wertschätzen, das sich häufig nur langsam verändert und somit träge, aber auch tragfähig ist. Häufig verändern sich Lebens- und Konsumstile zunächst in „Nischen“; es gilt, sie sensibel wahrzunehmen und zu fragen: Warum sind diese „nischenhaften“ Veränderungen erfolgt, welche Faktoren haben sie begünstigt – und was lässt sich daraus lernen für die Gestaltung struktureller Ermöglichungs- und Anreizbedingungen, um diese über die Nische hinaus zu verbreiten? 

Der Beitrag der katholischen Kirche zum gelingenden Wandel

Die Glaubwürdigkeit der Kirche, gegenüber den eigenen Gläubigen ebenso wie als gesamtgesellschaftlicher Akteur, hängt wesentlich von der Fähigkeit zu kohärentem Handeln ab. In Bezug auf die sozial-ökologische Transformation bedeutet das: Forderungen nach wirklichem Wandel, Bewahrung der Schöpfung und globaler Gerechtigkeit können nur dann glaubhaft und wirksam vertreten werden, wenn sie vom ständigen Bemühen begleitet sind, diese Werte auch selbst vorzuleben. Das Wissen um die genannten Stellschrauben gelingenden Wandels sollte daher innerhalb des gesamten kirchlichen Einfluss- und Verantwortungsbereichs verstärkt zur Anwendung kommen. Wenn dies gelingt, kann die katholische Kirche als Weltkirche nicht nur ihr materielles und strukturelles Vermögen, sondern auch ihr spezifisches Potential als Glaubensgemeinschaft in den gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozess einbringen: ihr Eintreten für die Verwundbaren und Marginalisierten, Traditionen des rechten Maßes und universaler Gerechtigkeit, ein holistisches Verständnis von Lebensqualität sowie eine Spiritualität, die durch Durststrecken trägt, Gemeinsamkeiten sucht und Hoffnung vermittelt.


Um dieses Potential noch stringenter umzusetzen, empfiehlt die Studie eine bessere organisatorische Verankerung für eine kohärente Nachhaltigkeitsstrategie in allen deutschen Diözesen. Beim Gebäudemanagement ist ein konsequenter Wechsel zu erneuerbaren Energien geboten. Die schrittweise Umstellung möglichst aller Heizungen, die Verwendung ökologischer Baumaterialien und der flächendeckende Wechsel auf Ökostrom für alle kirchlichen Liegenschaften sollten selbstverständlich sein. Ferner sollte das bewährte Prinzip gestärkt werden, kirchliche Immobilien zum Teil auch unter den ortsüblichen Marktpreisen zu vermieten, um bestimmte Wohnformen (z. B. Mehrgenerationenhäuser) und eine breite Mischung verschiedenster Sozial- und Einkommensmilieus zu fördern. Ebenfalls großes Potenzial liegt in der konsequenten Ausrichtung des kirchlichen Beschaffungswesens an sozial-ökologischen Kriterien. Dies umfasst kirchliche Fuhrparks und Richtlinien für erstattungsfähige Dienstreisen ebenso wie kirchliche Küchen, in denen mehr Vollwertkost, „bio-regio“ sowie „Fair Trade“ die Regel sein sollten. Im Bereich des Flächenmanagements besteht ebenso wie in der Vermögensverwaltung Klärungsbedarf, in wie weit die bereits vielerorts eingeführten Nachhaltigkeitskriterien weiter vereinheitlicht und verbessert werden können, was angesichts der Vielzahl verschiedener kirchlicher Rechtsträger eine große Herausforderung darstellt. Eine solche Diskussion hätte gesamtgesellschaftlichen Signalcharakter, wenn es gelänge, die damit verbundenen Verteilungskonflikte frühzeitig mit allen Betroffenen zu erörtern und auf der Grundlage geteilter Wert-vorstellungen eine gemeinsame Regelung zu finden.


Im globalen Kontext gewinnt besonders die Debatte um eine verantwortbare Bevölkerungspolitik und Familienplanung weiter an Dringlichkeit, da alle sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen SDGs bei stark wachsenden Bevölkerungszahlen in vielen ärmeren Ländern kaum gleichzeitig zu erreichen sein dürften.


Oft waren und sind es gerade basisdemokratische Gruppierungen und Verbände, die innerkirchlich wie gesamtgesellschaftlich Pionierarbeit für Zukunftsthemen wie aktiven Umweltschutz, Fair Trade oder nachhaltige Geldanlagen geleistet haben und die diese Anliegen in der Breite weiter vorantreiben. Angesichts der strukturellen Krise der institutionalisierten Kirche stellen diese Gruppierungen eine Ressource dar, deren Bedeutung in den kommenden Jahren noch stark zunehmen dürfte.